Bonding

Die erste Stunde nach der Geburt

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Die erste Stunde nach der Geburt ist ohne Zweifel eine der kritischsten Phasen im Leben eines Menschen.  Es ist nicht zufällig, daß alle menschlichen Gruppen routinemäßig die physiologischen Prozesse in diesem kurzen Zeitabschnitt, über Glauben und Rituale gestört haben. Während dieses Zeitraums, gleich nach der Geburt werden durch Mutter und Kind Liebeshormone ausgeschüttet und es entsteht das erste Bonding.

Verhaltensforscher haben festgestellt, dass es eine ganz besonders sensible Phase ist, die nicht mehr wiederholt werden kann. Denn zu diesem Zeitpunkt erreicht der Hormonspiegel des Liebeshormons Oxytocin seinen Höhepunkt. Das Urvertrauen des Babys und die Mutter-Kind Beziehung werden durch die Geburt und die Stunde danach geprägt. Unnötige Aktivitäten wie Baden, Wiegen, Anziehen etc. verhindern diese wichtige Bindung.

Der Körper der Mutter ist nach der Geburt auch bereit, das erste Mal zu stillen, ein lebenswichtiger Impuls für das Baby. Stillen fördert Nachwehen und die Ablösung der Plazenta. Ziehen an der Nabelschnur, oder auch Rumdrücken auf dem Bauch sind nicht nötig, wenn keine medizinischen Gründe dafür vorliegen, die Plazenta löst sich von selbst, meist innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt. Damit zwischen Baby und Plazenta der Blutaustausch stattfinden kann, sollte die Verbindung durch die Nabelschnur möglichst lange erhalten bleiben (s. Lotusgeburt).

Auszug aus einem Artikel von Michel Odent (Arzt und Geburtshelfer) über die Wichtigkeit der ersten Stunde nach der Geburt und den Einfluss der Hormone:

Heute wissen wir, daß alle unterschiedlichen Hormone, die durch Mutter und Kind während der Geburtsarbeit freigegeben werden, auch nach der Geburt eine wichtige Funktion ausüben. Sie alle haben eine spezifische Rolle, in der Interaktion zwischen  Mutter und dem Neugeborenen.

Das Schlüsselhormon, das in die Geburtsphysiologie mit einbezogen wird, ist ohne Zweifel Oxytocin. Seine mechanischen Effekte sind lange Zeit weithin bekannt gewesen (Effekt auf uterine Kontraktionen für die Geburt des Babys und das Ausstossen der Plazenta; Effekt auf die Kontraktionen der Myoepithelzellen der Brüste für den Milcheinschussreflex).

Prange und Pedersen zeigten die Verhaltenseffekte des Oxytocins zum ersten Mal 1979 mit Experimenten an Ratten: Eine Einspritzung des Oxytocins verursacht ein mütterliches Verhalten. Die Resultate Hunderter solcher Studien können in einem Satz zusammengefaßt werden:

Oxytocin ist das typische altruistische Hormon; es wird miteinbezogen, was auch immer die Facette von Liebe ausmacht.

Diese Information ist sehr wichtig, wenn man weiß, daß, entsprechend schwedischen Studien, Frauen die Möglichkeit haben, nach der Geburt des Babys und vor dem Ausstossen der Plazenta, die höchstmögliche Spitze des Oxytocins zu erreichen.

Wie unter allen möglichen anderen Umständen (zum Beispiel sexueller Verkehr oder Stillen) ist die Freisetzung von Oxytocin von verschiedenen Faktoren in hohem Grade abhängig. Es ist einfacher, wenn die Umgebung angenehm warm ist (damit das Niveau der Hormone der Adrenalinfamilie so niedrig wie möglich bleibt); wenn die Mutter sich wohl fühlt und nichts anderes zu tun hat, als die Augen des Babys zu betrachten und den  Hautkontakt zu geniessen, ohne irgendeine Ablenkung.

Oxytocin wird nie isoliert freigegeben. Es ist immer Teil einer komplizierten hormonellen Balance. Das ist der Grund, warum Liebe so viele Facetten hat. Während der ersten Stunde nach der Geburt, den physiologischen Bedingungen folgend, ist die hohe Spitze des Oxytocins mit einem hohen Niveau des Prolaktins verbunden, das das „Mutterschafts Hormon“ ist. Dieses ist die optimalste Voraussetzung für die Entstehung von Liebe zwischen Mutter und Baby.

(Quelle: Artikelauszug  aus ‘Midwifery Today’, Vol 61, 2002, 04. September 2002)