Vom Lückenfüller zum Fischer

Menschen haben die Angewohnheit, jede Minute ihres Lebens mit etwas auszufüllen. Ich zähle mich da auch dazu, wobei ich immer mehr lerne zu sein, anstatt das Leben mit Aktivitäten vollzustopfen. Ist schon eigenartig, da gibt es die, welche sich tagsüber im Job abmühen, abgekämpft nach Hause kommen, dies und jenes erledigen und die letzten Minuten, die ihnen noch bleiben damit verbringen, vor der Flimmerkiste zu sitzen. Wo hat denn da noch das wahre Wesen Platz? Wann nehmen sie sich Zeit für sich selber? Ich meine damit nicht, etwas zu TUN. Kein Bierdeckel sammeln, kein Kreuzworträtsel lösen, kein Auswendiglernen für irgendeine Schule, kein Zudröhnen in Clubs. Ich meine, Zeit, in der man einfach NICHTS TUT.

Ja, ich sehe, vielen ist es unangenehm, mit nichts anderem, als sich selber beschäftigt zu sein, sie werden nervös, kribbelig, der Griff zur nächsten Zigarette oder zum Kaffee, zur Schokolade oder Flucht ins Fitnessstudio liegt nahe. Es gibt ja unglaublich viel zu tun in unserer modernen Welt. Sie strotzt förmlich vor Angeboten, sich mit XY zu beschäftigen.

Wo bleibt die Ruhe, das Lauschen nach Innen? Viele klagen über Schlaflosigkeit. Ich denke, es liegt daran, dass das höhere Selbst nachts die einzige Möglichkeit sieht, mit uns Menschen zu kommunizieren, da wir für einmal mit nichts beschäftigt sind. Dies merke ich auch bei mir selbst. Abgesehen davon, dass in der Nacht Ruhe herrscht von ständigen Gedankenströmen bin ich offen für meine innere Quelle. Es sprudelt nur so raus, so entstand diese ganze Webseite, so entstehen meine Einträge.

Ich erlebe in mir seit längerem auch eine Veränderung die mich höchst erfreut: ich habe tagsüber immer wieder Minuten, in denen ich offen bin. Zeitlücken, die ich bewusst nicht fülle, sondern über mich selber, über das Leben nachdenke. Zeit, um zu philosophieren.

Es kommt mir da die Geschichte von dem Jungen in der Sudbury Valley Schule in den Sinn. In dieser Schule gibt es keinen Lehrplan, keine vorgeschriebenen Aktivitäten. Kinder tun das, was sie möchten. Sie spielen und lernen dabei aus dem wirklichen Leben, dazu gehören Dinge wie Rechnen, Lesen und Schreiben.

In dieser Schule also gibt es einen Jungen, der tagein tagaus am See sitzt und die Zeit damit verbrachte zu fischen. Abgesehen davon, dass ich selber als Vegetarierin nicht fischen würde, finde ich diese ‚Tätigkeit’ wundervoll, denn es ist eigentlich ein ‚Nichtstun’, so wie ‚Wolken beobachten’, ‚Meditieren’ ‚unter der Dusche stehen’ oder in der ‚Sauna schwitzen’. In diesem Nichtstun liegt soviel Wertvolles. Es schafft Raum, wirklich zu denken. Nicht die Art, von Gedanken, die sich im Kreise drehen, das Nachgrübeln, sondern die Art von Denken, die Neues hervorbringt, das Philosophieren.

Kinder haben von Natur aus diese Fähigkeit. Sie leben im Jetzt, wenn sie dies nicht schon bereits in jungen Jahren durch äußere Einflüsse, Erziehung, Schule, Medienkonsum etc. verloren haben. Sie lernen durch Beobachten, durch Nachdenken. Schlussendlich werden die Gedanken dann im Leben umgesetzt und integriert. Wie lernt man zu Malen? Es ist ein Beobachten. Wie verlaufen Konturen von Gegenständen? Was bewirkt Licht und Schatten? Wie entstehen Größenverhältnisse? Dies sind alles Überlegungen, die aus dem stillen Beobachten heraus entstehen. Darauf folgt die aktive Phase, in der ich meine erworbenen Kenntnisse umsetze und die eigenen Fähigkeiten verfeinere. Es braucht beides, bewusste Aktivität und bewusste Zeit der Stille, des Seins. Zeit, um sich selber zu begegnen und das Leben als Reflexion darauf wahrnehmen zu können.

Na dann: lasst uns fischen. Petri Heil, auf das ja kein Fisch anbeißen möge! 😉

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